Der fast vergessene Schweiz-Miyazaki
Am 11. März wurde Hayao Miyazaki für seine berührende Coming-of-Age-Fabel «The Boy and the Heron» mit seinem zweiten Oscar ausgezeichnet. Der 82-jährige Anime-Regisseur blieb der Veranstaltung jedoch fern – offiziell, weil er grosse Reisen in seinem Alter meidet. Doch seine Abwesenheit dürfte auch andere Gründe haben: Angeblich arbeitet Miyazaki bereits an seinem nächsten Film. Und das, obwohl «The Boy and the Heron» – wie auch schon sein vorheriger Film «The Wind Rises» 2013 – sein letztes Werk gewesen sein soll.
«Ich versuche gar nicht erst, ihn zu entmutigen», sagte Miyazakis Produzent Toshio Suzuki vor einigen Monaten im Gespräch mit der französischen Tageszeitung «Libération», «selbst wenn er einen schlechten Film machen würde.» Denn: «Nichts bereitet ihm in seinem Leben so viel Freude wie seine Arbeit.» Während sich der japanische Regisseur also wieder an seinen Schreibtisch setzt und Ideen wälzt, aus denen in ein paar Jahren sein nächster «letzter» Film entsteht, haben wir jetzt die Gelegenheit, sein bisheriges Werk Revue passieren zu lassen.
DIE ABGEFAHRENEN ANFÄNGE
Doch auf all den Bestenlisten und Miyazaki-Aufzählungen geht ein Film gerne mal vergessen: «The Castle of Cagliostro» von 1979, der erste Anime des Regisseurs, der noch nicht Teil von Miyazakis renommiertem Studio Ghibli war – jenes Studio, mit dem er in späteren Jahren seine Klassiker «My Neighbor Totoro», «Princess Mononoke» oder «Spirited Away» produzierte.
Dass «The Castle of Cagliostro» immer wieder mal vergessen geht, ist für uns Schweizer*innen natürlich doppelt schade: Einerseits handelt es sich dabei um einen fantastischen und den wahrscheinlich ulkigsten Film des Regisseurs – andernseits ist es ausgerechnet jener Film, in dem Miyazaki seine Faszination für die Schweiz und ihre Landschaften am Deutlichsten durchblicken lässt.
Zum Glück gibt es Gelegenheit, dieses Versäumnis nachzuholen. Am 30. Mai, ziemlich genau 45 Jahre nach seiner Veröffentlichung, kommt «The Castle of Cagliostro» in einer restaurierten neuen Fassung ins Kino. in Zusammenarbeit mit der Film Verleih Gruppe zeigt THE ONES WE LOVE am 22., 28. und 29. Mai die Vorpremiere dieses kultigen Meisterwerks – und damit auch der abgefahrenen Anfänge von Hayao Miyazaki. Alle Vorpremieren in der Übersicht
MIYAZAKIS REISE IN DIE SCHWEIZ
1979 hatte sich der damals 37-jährige Regisseur vor allem durch seine Mitarbeit bei Anime-Serien wie «Heidi» oder «Lupin III» einen Namen gemacht. Letztere, eine Adaption der beliebten gleichnamigen Manga-Reihe aus den Sechzigern, erzählt von Arsène Lupin III., einem Enkel des berühmten gleichnamigen Meisterdiebs. Wie sein Vorfahr ist auch der junge Lupin ein begnadeter Langfinger.
Die Anime-Serie, bei der Miyazaki zusammen mit seinem späteren Ghibli-Partner Isao Takahata Regie führte, war damals ein voller Erfolg. So sehr, dass das Studio hinter der Produktion auch den Kinomarkt erobern wollte. 1978 erschien der ziemlich erfolgreiche Lupin-Anime «The Mystery of Momo», und nur ein Jahr später durfte Hayao Miyazaki mit der Fortsetzung «The Castle of Cagliostro» endlich sein Langfilm-Debüt geben. Der Anime, für den Miyazaki auch das Drehbuch verfasste, schickt den Meisterdieb in den fiktiven Alpenstaat Cagliostro, wo sich dieser mit einer Fälscherbande anlegt und zudem noch eine Prinzessin retten muss (was in Anbetracht der interessanteren Frauenfiguren in Miyazakis späteren Filmen durchaus verziehen werden darf).
Hayao Miyazaki (rechts) zusammen mit Yoichi Kotabe (links), Isao Takahata (Zweiter von links) anlässlich ihres Recherchebesuchs in Maienfeld. Quelle: Junzo Nakajima
Dass der Schauplatz des Films an die Schweiz erinnert, kommt nicht von ungefähr: 1973 reiste Miyazaki nämlich für die Recherche zur animierten «Heidi»-Serie zusammen mit Isao Takahata, der bei der Serie Regie führte und dem Character Designer Yōichi Kotabe nach Maienfeld.
Auf ihrer Reise durch die Schweiz sammelten sie zahlreiche Eindrücke, die sie nicht nur bei «Heidi» einfliessen liessen, sondern die auch im restlichen Werk von Miyazaki immer wieder spürbar werden – am Deutlichsten in «The Castle of Cagliostro», dessen fiktives Alpen-Fürstentum der Schweiz in vielerlei Hinsicht nachempfunden scheint.
Auf ihrer Schweizerreise besuchten Hayao Miyazaki (links) und Isao Takahata (rechts) auch Zürich. Das Bild wurde 2019 als Teil einer Heidi-Ausstellung im Zürcher Landesmuseum gezeigt. Quelle: Álvaro López Martín auf Twitter, Bearbeitung THE ONES WE LOVE
Genau wie das stockholm’sche Städtchen am Meer in «Kiki’s Delivery Service» von 1989, das eine romantisierte Version des Originals ist, merkt man auch der etwas gar kitschigen Cagliostro-Schweiz mit ihren grünen Matten und den klaren Bergseen ganz deutlich Miyazakis Touristen-Brille an. Doch wenn das alles so zauberhaft und faszinierend ausschaut wie in «The Castle of Cagliostro», dann kann man das dem Anime-Meister nicht wirklich übel nehmen.
WEG MIT HITLERS LIEBLINGSWAGEN
Es fällt zudem auf, wie wenig Scheu der Regisseur dabei zeigt, dem Anime – notabene sein erster Film und ein Eintrag in eine bereits bestehende Franchise – seinen ganz eigenen Stempel aufzudrücken. So wird der draufgängerische, zynische Lupin, der in der Serie auch mal deshalb ein bestimmtes Auto bevorzugte, weil es «Hitlers Lieblingswagen» war, bei Miyazaki zum ebenso galanten, wie tollpatschigen Charmeur. Auch die James Bond-Ähnlichkeit der Serienvorlage schraubt Miyazaki in seinem Film herunter – und verleiht der ganzen Lupin-Welt mit «The Castle of Cagliostro» mehr Witz und Leichtigkeit.
Ein liebenswürdiger Schuft mit dem Herz am rechten Fleck: Damit bildet Lupin gewissermassen auch die Blaupause für viele von Miyazakis späteren (Anti-)Held*innen, wie dem titelgebenden Schweinepiloten in «Porco Rosso» oder dem Reihermann in «The Boy and the Heron». Ganz allgemein klingt bei «The Castle of Cagliostro» bereits vieles an, das man bei Miyazaki auch in seinen späteren Filmen wiederfindet: Der Umgang des Menschen mit der Technologie (und das Verhandeln von Historischem und Modernem), die störrische Prinzessin, die sich gegen die Bösewichte behauptet – und natürlich der Schauplatz im Herzen Europas.
Gleichzeitig unterscheidet sich «The Castle of Cagliostro» durch seine Leichtigkeit und seinen Witz aber auch deutlich von Miyazakis späteren Werken. Den Hang zum Schabernack hat der Anime-Regisseur zwar nie wirklich verloren – man denke da etwa an die Wellensittiche in «The Boy and the Heron» –, er hat ihn in seinen späteren Werken aber doch zumindest ordentlich runtergeschraubt. Diese Selbstbeherrschung fehlt ihm dagegen in seinem Debüt gänzlich – und das ist wunderbar. Mit seinen fantastischen Bildern, seinen liebenswerten Figuren und der packenden Musik ist der abgedrehte «The Castle of Cagliostro» ein Miyazaki, den man unbedingt gesehen haben muss.
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